Aus aktuellem Anlass

  • Zitat

    Original von Sven Wenzel
    Kosten sind aber kein Argument für das Festhalten an dem problemtischen Pflichtdienst.


    Das begreift der nicht. Hier erklären ihm mittlerweile 3 Leute diesen Fakt, und dennoch kommt nur "ihr habt doch keine Ahnung" zurück.

  • Zitat

    Original von Tony Gold
    Wenn es mehr Freiwillige, Ehrenamtliche und meinetwegen FSJler gibt, dann, ja dann, kann man darüber sprechen Pflichtdienste (größtenteils) abzuschaffen. Aber vorher nicht, die Konsequenzen wären für die Gemeinschaft nicht tragbar.


    Die erste Frage die man sich dabei stellen muss ist, ob und in welchem Maße man junge Erwachsene effektiv für Verfehlungen "haftbar" machen kann und darf, die andere Leute lange vor ihrer Geburt begangen haben. Die Entwicklung des Zivildienstes ist so ein Beispiel.


    In den ersten ca. fünfzehn bis zwanzig Jahren des Bestehens der Bundeswehr wurde die nun mal 1949 als Grundrecht ins Grundgesetz aufgenommene Kriegsdienstverweigerung von Politik und Gesellschaft mindestens aktiv behindert, wenn nicht sogar schlicht bekämpft. Als sich dann in den 1970-er Jahren das gesellschaftliche Klima allmählich wandelte und Kriegsdienstverweigerer plötzlich keine versponnene Minderheit mehr waren, sondern eine Bewegung, der sich hunderttausende junger Männer anschlossen, die Bundeswehr wachsende Probleme bekam, alle wehrpflichtigen jungen Männer eines Jahrganges einzuziehen und zudem der einst berauschende Wohlstand der Wirtschaftswunderjahre allmählich verfrühstückt war, entdeckte die Politik den ihr einst verhassten Zivildienst für ihre Zwecke: Dienstgerechtigkeit verbessern, Querdenker aus der Bundeswehr fernhalten und ein steter Fluss preiswerter Arbeitskräfte im teuren und faktisch nicht wirtschaftlichen Sozialbereich - drei Geschenke auf einmal!


    In der Folge haben sich die Träger des Zivildienstes - Krankenhäuser, Seniorenheime, Rettungsdienste, Wohlfahrtsverbände etc. - sukzessive auf diese "neue Normalität", also den Zivildienst als nie versiegende Quelle kostengünstiger und rechtloser, aber vielfach qualitativ hochwertiger Arbeitskräfte in sonst immer mauer werdenden Zeiten, eingestellt. Und das hätte niemals passieren dürfen!


    Selbst das Bundesverfassungsgericht, dass sich zwar beharrlich weigert, die Wehrpflicht selbst endlich zu kippen und sie stattdessen mit juristisch untragbaren Argumenten zu legitimieren bemüht ist, hat bereits 1960 (!) ausdrücklich festgestellt, dass die Wehrpflicht kein "ewiges Prinzip" ist, sondern jederzeit zur Disposition des Gesetzgebers steht!


    Die bizarre Situation heute ist, dass die Wehrpflicht maßgeblich auch deshalb für unverzichtbar gehalten wird, weil an ihr der Zivildienst hängt. Eine allgemeine soziale Dienstpflicht als Ersatz wäre längst nicht so leicht einzuführen wie mancher glaubt!


    Neben der Feminazistinnen-Lobby, die scharf wie ein Schießhund über die Rechte und Freiheiten junger Frauen wacht, steht das Problem, das dafür derzeit ca. 600.000 Stellen jährlich für dienstpflichtige junge Frauen und Männer benötigt würden - so viel Personal brauchen weder die gegenwärtigen Zivildienstträger, noch könnte der Staat das bezahlen.


    Und auch juristisch wird es schwierig. Zuerst müsste das Grundgesetz geändert werden, denn entgegen manchmal vernommener Meinung deckt Artikel 12 Absatz 3 GG eine solche Dienstpflicht nicht.


    Und dann wäre da noch die 1950 auch von der Bundesrepulik ratifizierte und nach Artikel 25 GG den nationalen Gesetzen vorgehende Europäische Konvention über die Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in Artikel 4 "Zwangs- und Pflichtarbeit" verbietet, sowie abschließend aufzählt, was keine "Zwangs- oder Pflichtarbeit" im Sinne dieser Vorschrift ist: etwa Wehrdienst und Wehrersatzdienst, Arbeit im Strafvollzug oder Arbeiten, die zu den "normalen Bürgerpflichten" gehören - dazu zählt etwa die von dir schon in der Diskussion erwähnte Feuerwehrdienstpflicht, die in Deutschland übrigens auch ein Anwendungsbeispiel für Artikel 12 Absatz 3 GG ist.


    Nach herrschender Meinung fällt eine "soziale Dienstpflicht" jedoch nicht nur nicht darunter, sondern soll durch diese Vorschrift gerade ausgeschlossen werden! Zynischerweise stützt man sich dabei auf das von den Nationalsozialisten in Deutschland eingeführte "Pflichtjahr", das als inakzeptable und unerträgliche Menschenrechtsverletzung erachtet wird, während die Wehrpflicht, ohne die Hitlers Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug unmöglich wäre, historisch als nicht belastet gesehen wird.


    Die Frage ist letztlich: ist es hinnehmbar, dass einige der um 1990 herum in Deutschland geborenen Männer im Jahre 2009 nach willkürlichen Kriterien zu einem sexistischen Zwangsdienst herangezogen werden, weil rund fünfzehn Jahre vor ihrer Geburt gesellschaftliche Weichen verheerend falsch gestellt wurden? Erwächst aus der wie es aussieht wirtschaftlichen und juristischen Unmöglichkeit einer sozialen Dienstpflicht für alle jungen Erwachsenen in Verbindung mit der unterstellten Unverzichtbarkeit des Zivildienstes eine Rechtfertigung dieser Praxis?


    Auch wenn ich jedes Mal an die Decke gehe wenn ich Aussagen höre wie: "Jedes Kind, das heute in Deutschland geboren wird, hat rechnerisch 17.000 € Schulden" - ein unschuldiges Baby hat genau 0,00 € Schulden, die Schulden haben wenn dann die Politiker, die sie gemacht haben, und sonst niemand - immerhin werden in diese Rechnung alle Deutschen einbezogen! Warum müssen für das Versagen von Politik, Sozialverbänden u. a. in den Bereichen Pflege, Betreuung, Rettungswesen etc. heute nur einige ausgewählte Männer büßen? Weil man sie über die Schiene der erschreckenderweise immer noch vielfach gebilligten bzw. akzeptierten Wehrpflicht so bequem greifen kann, und sei es um den Preis deren völliger Zweckentfremdung?

    Amber Marie Ford
    Richterin am Unionsgericht
    Unionsministerin der Justiz a. D.
    Präsidentin des Unionsparlamentes a. D.
    Unionsvorsitzende der FDU a. D.
    Ministerpräsidentin des Freistaates Freistein a. D.
    Oberste Unionsanwältin a. D.

  • Zitat

    Original von Amber Marie Ford
    Selbst das Bundesverfassungsgericht, dass sich zwar beharrlich weigert, die Wehrpflicht selbst endlich zu kippen und sie stattdessen mit juristisch untragbaren Argumenten zu legitimieren bemüht ist, hat bereits 1960 (!) ausdrücklich festgestellt, dass die Wehrpflicht kein "ewiges Prinzip" ist, sondern jederzeit zur Disposition des Gesetzgebers steht!


    Sehr richtig. Ein entsprechendes Urteil zur Wehrpflicht habe ich ja schon erwähnt.


    Und über die Qualität von Zusammensetzung und Judikatur des BVerfG, sowie der obersten Bundesgerichte (Schönes Beispiel ist hier übrigens der BGHSt) kann man in den meisten Fällen sicherlich streiten. Das soll nicht heißen, dass das jetzt alles so falsch ist, was die da machen, aber manches ist doch recht fragwürdig.

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