Wahlanalyse Bundestagswahl 2009

  • Sehe gerade die Pressekonferenz der Kanzlerin, die die Arbeit der Großen Koaliton noch mal überaus lobt und schon mal ankündigt, dass sie eine Politik für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen wird. Bei "Achtung vor den Menschen, die Arbeitsplätze schaffen", das unpopuläre Wort 'Unternehmer' wird schon mal bewusst ausgespart.
    Das wird schwierig für die FDP, hier mehr marktwirtschaftliche Verantwortung durchzusetzen.


    Die "Auguren" sagen:


    1,2 Millionen Stimmen gingen von der CDU/CSU an die FDP
    900.000 Stimmen gingen von der SPD zur CDU/CSU


    Das entspricht der Beobachtung bzw. These, dass die CDU sich seit 2005 in der realen Richtung deutlich sozialdemokratisiert hat. Dadurch konnte sie in Bereichen Mitte-Links, die davor mehr SPD gewählt haben, punkten.


    Die FDP hat nun eine Koalition mit der CDU/CSU. Nur ist dies eine ganz anders ausgerichtete CDU als noch vor der Wahl 2005. Erst recht, wie Jürgen Rüttgers sagt, will die CDU nicht mehr zurück zu den ehrgeizigen Reformplänen des Leipziger Parteitages von 2003.


    Die neue staatssozial-liberale Koalition muss nun schauen, ob sie es besser machen kann als die staatssozial-staatssoziale Koalition.

  • Zitat

    Original von Palin Waylan-Majere
    Die ändern sich doch nur in der Rhetorik, um die Leute nicht zu sehr abzuschrecken.


    Nö. Von Mitgliedern und Wählerschaft her ist die CDU zu erheblichen Teilen schon immer sozialdemokratisch gewesen. In der Ausrichtung und dem Programm, von dem die jeweils führenden Persönlichkeiten die Mitglieder und Wähler überzeugen konnten, gab es jedoch immer wieder deutliche Unterschiede.


    So startete die CDU mit der Forderung nach gelenkter Staatswirtschaft, akzeptierte dann wegen des sichtbaren Erfolgs die soziale Marktwirtschaft, machte aber immer wieder - aus wahltaktischen und aus Überzeugungsgründen - interventionistische Politik, so z.B. der "Generationenvertrag", der Adenauer u.a. den breiten Wahlsieg 1957 brachte.


    Zitat

    Joseph Rovan: Geschichte der deutschen Sozialdemokratie
    Die oftmals gehässigen Angriffe verdeckten aber, so Joseph Rovan, dass sich zwischen den beiden Lagern in der Bundesrepublik doch allmählich ein breiter Konsens hergestellt hatte.


    Ist doch sehr ähnlich mit der Situation heute.


    Zitat

    Die Wähler sahen trotzdem oder deswegen noch keinen Grund, die Führung auszuwechseln. ... Populär war auch Adenauers Rentenreform.


    Die CDU hat auch laut Selbstbeschreibung einen sozialen, einen liberalen und einen konservativen Teil. Diese Flügel hatten im Laufe der Geschichte verschieden großen Einfluss. Heute ist derjenige Teil, der staatliche Eingriffe in die Wirtschaft als sozial einschätzt (also sozialdemokratische Positionen vertritt) der mit Abstand einflussreichste in der CDU. Der wirtschaftsliberale Flügel ist zum nur noch gelegentlich auftretenden Mahner geworden und der altkonservative Teil ohne Bedeutung.
    Gesellschaftspolitisch: Der christlich-konservative und erst recht der national- oder der rechtskonservative Teil sind innerhalb der Partei längst marginalisiert. Gesellschaftspolitisch macht Ursula von der Leyen astreine SPD-Politik und das propagierte Weltbild der CDU wurde ohne Anspruch auf Veränderungswillen dem Zeitgeist angepasst.
    Wirtschaftspolitisch: Von den liberal-konservativen Reformplänen des Leipziger Parteitages 2003 hat man sich nun auch offiziell verabschiedet. Jürgen Rüttgers: Dahin wollen wir nicht mehr zurück.
    Weitere von vielen Beispielen: Die Akzeptanz von Mindestlöhnen in etlichen Branchen, die Forderung nach einer Börsenumsatzsteuer, der staatswirtschaftliche "Gesundheitsfonds" und vieles mehr.

  • Angie hat doch beim TV-Duell selbst gesagt, dass Sie zu den Hartz-Reformen steht.
    Unter Merkel gab es den Parteitag 2003, von dem weder programmatisch noch in der faktischen Politik abgerückt wurde. Die Union hat die Mehrwertsteuern erhöht, während Erbschafts- und Unternehmenssteuern gesenkt wurden (bitte nicht Steinbrücks Mitwirkung daran mit 'sozialdemokratisch' verwechseln). Jetzt mit schwarz-gelb will man so weitergehen, in der Hinsicht haben sich Kubicki und Oettinger ja schon vor der Wahl geäußert, der Druck aus den Unternehmer-Lobbys ist groß.


    Die Union will "Lohnnebenkosten" senken (= Sozialleistungen abbauen, Löhne drücken) und ist nach wie vor in der Angebotsökonomie verhaftet ('Steuern senken bringt Wachstum'). Es geht ihr um den Titel als Exportweltmeister, nicht um die Binnenkonjunktur.
    Die Union ist gegen Mindestlöhne. Die paar Branchenspezifischen werden entweder gekippt oder verharren auf ihrem Niveau - sie waren Manöver, um das Thema Mindestlohn nicht allzu hoch kochen zu lassen und eine Gefälligkeit an den Koalitionspartner.


    Merkels Union ist auch weiterhin für Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung (Bahnprivatisierung, Telekomanteile an Blackstone, Postbank an die Deutsche Bank, Verkauf kommunaler Unternehmen und öffentlichen Wohneigentums). Gerade mit der Tigerentenkoalition wird sich daran überhaupt nichts ändern (Privatisierung von Kliniken, Gefängnissen, Bildungseinrichtungen, öffentlicher Verwaltung).
    Oder nehmen wir diese unselige "Schuldenbremse" - was soll daran sozial und demokratisch sein?


    Nicht zuletzt die Milliardenstütze für die Finanzwirtschaft, deren Kosten sicher nicht die Einkommensmillionäre in der BRD zu tragen haben, wo ist das sozialdemokratisch? Am Börsencasino wird zwar "mehr Transparaenz" und - als Alibil - "weniger Boni" für die Manager versprochen, doch Steuern auf Unternehmensverkäufe oder eine Börsentransaktionssteuer gibt es mit der Union definitiv nicht.



    Es stimmt, dass sich SPD und Union über die Jahrzehnte näher gekommen sind. Der Prozess ist ja nichts neues - doch einen Linksrutsch der Union kann ich wirtschafts-, sozial- und finanzpolitisch beim besten Willen nicht erkennen.
    Im übrigen entfernt sich auch Ursula von der Leyen mit dem Elterngeld von einer alten sozialdemokratischen Überzeugung, nach der jedes Kind dem Staat gleich viel wert ist: Gutverdiener bekommen mehr Elterngeld als Geringverdiener oder Arbeitslose. Sozialdemokratisch ist etwas anderes.

  • Mir geht es nur darum festzuhalten, dass all das Nuancen derselben Haltung, nämlich einer Sozialdemokratischen ist. So viel wirtschaftliche Freiheit wie nötig und soviel staatliche Segnungen wie möglich.


    Zitat

    Original von Palin Waylan-Majere
    Angie hat doch beim TV-Duell selbst gesagt, dass Sie zu den Hartz-Reformen steht.


    ich will ja in diesem Fall möglichst wenig werten, sondern nur analysieren. Also unabhängig davon, ob man nun sozialdemokratisch/interventionistisch denkt oder nicht, kann man manche Sachen feststellen:
    So z.B.: Die Hartz-Reformen sind doch eine Änderung an einem bestehenden System. Das Geld für den immens großen (keine Wertung, ob das gut, schlecht oder sowohl als auch ist) Sozialstaat wurde langsam knapp. Da hat eine Regierung, in dem Fall rot-grün Reformen durchgeführt mit dem klaren Ziel das Gesamtkonstrukt zu erhalten. Das hat die CDU unterstüzt. Ja und? Das sagt nichts über den Gehalt an sozialdemokratischer Staatsauffassung innerhalb der CDU aus. Die einen wollen einen Sozialhilfesatz von 359 Euro und die anderen einen von 450 Euro. Das sind Unterschiede, die durch verschiedene Erwartungen an die Finanzierbarkeit zustande kommen und nicht durch Unterschiede in der Auffassung von den Aufgaben des Staates.


    Zitat

    Unter Merkel gab es den Parteitag 2003, von dem weder programmatisch noch in der faktischen Politik abgerückt wurde.


    Doch. Inhaltlich wurde von den meisten Reformideen dieses Parteitages leise Abschied genommen. Große Steuerreform, Bierdeckel- Steuererklärung, Kopfpauschale, etc.
    Die einen finden das gut, die anderen schlecht. Tatsache ist, dass es so ist.


    Zitat

    ...der Druck aus den Unternehmer-Lobbys ist groß.


    Das hat aber alles nichts mit der Auffassung der CDU von den Aufgaben und den Rechten des Staates zu tun. Dort gibt es in den meisten Bereich keinen Unterschied (mehr) zur SPD.


    Zitat

    Die Union will "Lohnnebenkosten" senken (= Sozialleistungen abbauen, Löhne drücken)


    Das ist alles innerhalb eines sozialdemokratischen Systems bzw. einer Denkwelt machbar.


    Zitat

    'Steuern senken bringt Wachstum'


    Der größte Teil davon sind Phrasendrescherei und Augenwischerei. Steuersenkungen für die Masse (nicht für Wohlhabendere) sind einfach populärer. Gerade hat die CDU die große Mehrwert-Steuererhöhung zusammen mit dem roten Pendant beschlossen.


    Zitat

    Die Union ist gegen Mindestlöhne. Die paar Branchenspezifischen werden entweder gekippt oder verharren auf ihrem Niveau - sie waren Manöver, um das Thema Mindestlohn nicht allzu hoch kochen zu lassen und eine Gefälligkeit an den Koalitionspartner.


    Lies mal die Positionen der CDU in diesem Gebiet und erst recht des einflussreichen CDA und allgemein des linken Flügels der CDU dazu. Dann ist klar, dass das nicht Gefälligkeiten waren, sondern ganz ureigene Klientelpolitik. Aus einem sozialdemokratischen Staatsverständnis heraus.


    Zitat

    Oder nehmen wir diese unselige "Schuldenbremse" - was soll daran sozial und demokratisch sein?


    Sozial ist ein sehr subjektiver Begriff.
    Es gibt sozialdemokratische Befürworter und Gegner einer Schuldenbremse. Beides sowohl in der SPD wie auch in der CDU. Die Befürworter argumentieren u.a. damit, dass damit auf Dauer die Handlungsfähigkeit eines starken Staates (klassisch sozialdemokratische Argumentation) erhalten werden könne und kommende Generationen nicht vor einem noch größeren Schuldenberg stehen würden.
    Sparen, um später wieder mehr ausgeben zu können oder gleich alles ausgeben ist nicht das, was den Unterschied zwischen Sozialdemokratie und was anderem ausmacht.


    Nicht zuletzt die Milliardenstütze für die Finanzwirtschaft, deren Kosten sicher nicht die Einkommensmillionäre in der BRD zu tragen haben, wo ist das sozialdemokratisch? Am Börsencasino wird zwar "mehr Transparaenz" und - als Alibil - "weniger Boni" für die Manager versprochen, doch Steuern auf Unternehmensverkäufe oder eine Börsentransaktionssteuer gibt es mit der Union definitiv nicht.


    Zitat

    Sozialdemokratisch ist etwas anderes.


    Für dich ist das im konkreten Inhalt nicht "sozialdemokratisch", weil dir das Geld falsch verteilt wird. Aber auch in diesem Fall geht es um Nuancen und Verteilungsunterschiede - aber keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen CDU und SPD. Dass der Staat die Kindererziehung übernehmen soll, dass staatliche Lösungen den familiären Lösungen vorzuziehen sind - egal wer dann im Detail wie viel Geld bekommt - ist eine sozialdemokratische Familien- und Erziehungspolitik.
    Daher ist Frau von der Leyen übrigens oftmals von SPDlern gelobt worden - bei aller Kritik in Details. Im Grundsätzlichen stimmen sich CDU und SPD auch hier zu.

  • Zitat

    Original von Palin Waylan-Majere
    Wodurch wird diese angeblich beobachtete "Sozialdemokratisierung" der CDU denn belegt? Die ändern sich doch nur in der Rhetorik, um die Leute nicht zu sehr abzuschrecken.


    Beispiel Familienministerium. Wir verstaatlichen die Kindererziehung immer mehr, obwohl unser Grundgesetz das natürliche Recht und die natürliche Pflicht zur Erziehung ausdrücklich bei den Eltern sieht. Aber unter von der Leyen haben wir auf einmal planwirtschaftliche Vorgaben, dass 30 % der Kinder in Krippen müssen. Außerdem war es von der Leyen, die die feministische Umerziehungsprämie namens Elterngeld eingeführt hat. Gender Mainstreaming, das ist ein Unding für jeden Christen, Liberalen, Konservativen!


    Die Wirtschaftspolitik war reiner StaMoKap, die Rentengarantie eine Unverschämtheit, die Gesundheitspolitik purer Egalitarismus. Und das "Verbraucherschutzministerium" ist auch eine reine Hochburg der Bürgerbevormundung.


    Unter Merkel hat die CDU sogar die Homoehe anerkannt!


    Angela Merkel ist die Rache der DDR.

  • Zitat

    Original von Freiherr von Stern
    Das ist jetzt vielleicht nicht gerade Konservatismus à la Dregger, aber "sozialdemokratisch" ist es auch nicht gerade.


    Warum? Es ist egalitaristisch und etatistisch, also sozialdemokratisch.

  • Zitat

    Original von Freiherr von Stern
    Das ist jetzt vielleicht nicht gerade Konservatismus à la Dregger, aber "sozialdemokratisch" ist es auch nicht gerade.


    Die Grundhaltung, also die Idee, was Staat sein soll und was er nicht sein soll ist aber bei der CDU inzwischen in der Leitlinie sozialdemokratisch. Liberale sind in der CDU noch vorhanden, aber derzeit nicht die Leitlinien angebend. Und von den Konservativen hat man schon lange nichts mehr gehört. Außer dem von Ämtern ferngehaltenen Feigenblatt Peter Gauweiler und Norbert Geis, der alle paar Jahre noch durch die Medien geistert.

  • Zitat

    Original von Richard Stresemann


    Warum? Es ist egalitaristisch und etatistisch, also sozialdemokratisch.


    Wo is da denn da Etatismus verhanden?

  • Zitat

    Original von pjotr
    Bin ich hier der einzige der den Zusammenhang zwischen Homoehe und staatlicher Kinderbetreuung nicht sieht?


    Nee, das bist du nicht.
    Da werden einige Dinge aus dem Zusammenhang gerissen und wieder neu zusammengebastelt.

  • Zitat

    Unter Merkel hat die CDU sogar die Homoehe anerkannt!


    Haben sie wirklich? Wusst ich noch gar nicht.


    Zitat

    Original von pjotr
    Bin ich hier der einzige der den Zusammenhang zwischen Homoehe und staatlicher Kinderbetreuung nicht sieht?


    Bei der Anführung der Homoehe als Beispiel für die Ent-Konservatisierung der CDU ging es wohl eher darum, dass dies keiner einzigen bisher bekannten konservativen Auffassung vom Sinn und Aufgabe der Institution Ehe und Familie entspricht.


    Zitat

    Original von Stigman
    Da werden einige Dinge aus dem Zusammenhang gerissen und wieder neu zusammengebastelt.


    Welchen Zusammenhang erkennst Du hier? Der Zusammenhang der gemeint war, war die Abkehr der CDU von ihren ureigenen Positionen in vielen Bereichen.


  • Zuallererst, so widersprüchlich dies klingt, selbst der Konservatismus wandelt sich im laufe der Zeit. Wenn dies nicht so wäre, gäbe es z.B. kein Wahlrecht für Frauen und schon gar nicht eine Bundeskanzlerin.


    Ich meinte den Zusammenhang der sog. Homoehe und Kindererziehung (Staatliche und kirchliche, den Kirchen sind auch Träger von Einrichtungen mit Ganztagesbetreuung) der hier letztendlich zusammengebastelt wurde.
    Viele Frauen müssen arbeiten um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern

  • Zitat

    Original von Stigman
    Ich meinte den Zusammenhang der sog. Homoehe und Kindererziehung (Staatliche und kirchliche, den Kirchen sind auch Träger von Einrichtungen mit Ganztagesbetreuung) der hier letztendlich zusammengebastelt wurde.


    Von einem kausalen Zusammenhang zwischen Homoehe und staatlicher Kindererziehung hat auch keiner hier geschrieben.


    Der Zusammenhang war:
    Vorrang für staatliche Kindererziehung -> Sozialdemokratisierung, Ent-Konservatisierung und Etatismus
    Anerkennung der Homo-Ehe -> Ent-Konservatisierung und Egalitarismus


    Hier wurden einfach Beispiele aus verschiedenen Bereichen für die inhaltliche Entkernung der CDU aufgezählt.

  • Zitat

    Original von Rafael van der Linden


    Der Zusammenhang war:
    Vorrang für staatliche Kindererziehung -> Sozialdemokratisierung, Ent-Konservatisierung und Etatismus
    Anerkennung der Homo-Ehe -> Ent-Konservatisierung und Egalitarismus


    Da ist sicher was dran. Wobei das zwei Punkte sind, an denen der traditonelle Konservatismus einfach von der Zeit überholt worden ist. Diskriminierung von sexuellen Minderheiten und Verzicht auf staatliche Erziehungs- und Betreuungsangebote sind Sachen, die man sich einfach aus pragmatischen Gesichtspunkten nicht mehr leisten kann. Im Übrigen passt das konservative Familienbild eben nicht mit der Arbeitspolitik der CDU zusammen.

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