Ein neues Programm für die SPD

  • Schreiben wir hier doch ein neues Programm für die SPD. ;) Gerne auch in kurzer Form, damit es auch jemand aus nicht-intellektuell-verspielten Kreisen liest.


    Grundfrage: Wie sollte sich die SPD im neuen Jahrzehnt ausrichten?


    Grobe Situationsanalyse als Debattenimpuls meinerseits:
    Die CDU ist die Partei der sozialen Mitte. Sie vertritt mehrheitlich das kleine und mittlere Bürgertum (teils Facharbeiter, Angestellte etc.), das eine feste, bzw. konstante Arbeit hat und immer noch gewisse Werte, bzw. Haltungen zu Welt und Ordnung, wie es sein sollte.
    Die SPD war dagegen schon seit den 60er-Jahren neben der Partei der etablierten bzw. in diesem Milieu eingerichteten Arbeiter und "kleinen Leute" u.a. auch die Partei des sozialen Aufstiegs (durch staatlich geförderte (Weiter-)bildung etc.). Die Zahl der klassischen Arbeiter nimmt immer mehr ab. Heute sind es Angestellte und der Dienstleistungsbereich (im privaten wie im öffentlichen Dienst) die eventuell das größte Wählerpotenzial der SPD ausmachen. Um das etablierte, sicherheitsorientierte Bürgertum konkurrieren SPD und CDU. Dabei hat die Union aber derzeit die Nase vorn, da sie diese Wählergruppen programmatisch und werte-wirksam besser anspricht und - trotz Merkelisierung - in dem Bereich ein klareres Profil darstellt (ohne es unbedingt zu haben).


    Also ein Vorschlag, der von verschiedener Seite schon kam: Die SPD richtet sich vermehrt auf kleine und mittlere Angestellte und pragmatisch wählende Menschen aus den alten und neuen Dienstleistungssektoren, inklusive öffentlichem Dienst und Beamtenschaft, aus.


    Das wäre mal grob eine Richtung. Die andere Frage ist: Wie gestaltet man das konkret inhaltlich aus. Aber das könnte man auch den Fachausschüssen überlassen.

  • Das ist doch schon mal ein Anfang.
    SPD will Hartz IV entschärfen:


    Zitat


    [...]
    Die SPD-Spitze distanziert sich von den Hartz-Reformen. Sieben Jahre nach Verkündung der Agenda 2010 billigte das SPD-Präsidium ein entsprechendes Konzept. Zwei Monate vor der Wahl in NRW nimmt die Partei damit Korrekturen vor, von denen sie sich mehr Rückhalt bei den Wählern verspricht.
    [...]


    Nach dem Vorschlag von Roland Koch plädiert auch die SPD für einen staatlich finanzierten zweiten Arbeitsmarkt:


    Zitat

    Für Langzeitarbeitslose ohne Jobchance wollen die Sozialdemokraten in den kommenden zwei Jahren einen „sozialen Arbeitsmarkt“ mit zusätzlich 200.000 Beschäftigungsverhältnissen schaffen. Die öffentlich geförderten Arbeitsplätze sollen die bisherigen Ein-Euro-Jobs ersetzen.
    [...]


    Quelle für auszugsweise Zitate: Welt online

  • "Nach Roland Koch" ist ja nun nicht ganz wahr. Solche Ideen gabs schon 1848 in Frankreich oder bei Kurt von Schleicher. In jüngster Zeit als ABM oder 1-Euro-Job betitelt.


    Toller Satz bei Wikipedia dazu:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Arbeitsmarkt

    Zitat

    Dem Zweiten Arbeitsmarkt kommt vor allem in Ostdeutschland eine große Bedeutung zu, wo er eher genutzt wird, die Arbeitslosigkeit zu senken und weniger, die dort Beschäftigten beruflich zu fördern; er dient damit dem sozialen Frieden.

  • Die Hartz-Reformen sind allein an ihrer Inkonsequenz gescheitert. Zwar enthalten sie ein hübsches Bündel an Maßnahmen, um das vorhandene Potenzial des Arbeitsmarktes besser auszuschöpfen, aber rein gar keinen Ansatz auch nur einen einzigen neuen Arbeitsplatz zu schaffen.


    Das eigentliche Problem wird offenbar, wenn man sich anschaut wer Hartz IV bezieht: es sind in der breiten Masse gering bis nicht qualifizierte Arbeitskräfte. Für die kann niemand Arbeitsplätze schaffen, weil der Staat ihre Arbeitsleistung weiterhin unbezahlbar hält. Automatisierung hin oder her, Bedarf an einfachen manuellen Arbeiten ist nach wie vor da. Nur erwirtschaftet diese einfach nicht genug Umsatz, um nach Abzug ihrer durch den Wohlfahrtsstaat verursachten Kosten für den Arbeitgeber profitabel zu sein.


    Selbst wenn die Versorgung von Arbeitslosen ohne Ansprüche an die Arbeitslosenversicherung noch weiter bis auf das materielle Existenzminimum zurückgefahren würde änderte sich an deren Lage nichts. Es würden sich nur die Obdachlosenunterkünfte und Suppenküchen füllen.


    Es reicht nicht, Druck auf Arbeitslose auszuüben. Es muss auch ein Ventil für diesen Druck geöffnet werden, indem die Schaffung von Arbeitsplätzen für Gering- und Nichtqualifizierte wieder ermöglicht wird.


    Die Hartz-Reformen waren ein in ihrer Intensität zaghafter, in ihrer Stoßrichtung aber richtiger und wichtiger Schritt. Nur müssen jetzt eben weitere Maßnahmen getroffen werden, wie das Aufbrechen des Flächentarifs und die Zerschlagung der gesetzlichen Sozialversicherung. Sonst war alles für die Katz', und die SPD steht zurecht als der Buhmann da. Sie hat die Umverteilung nur verschoben, von Arbeitenden zu Arbeitslosen hin zu von Arbeitenden zur Bürokratie des angeblich verschlankten Wohlfahrtsstaates.

  • Zitat

    Original von Palin Waylan-Majere
    "Nach Roland Koch" ist ja nun nicht ganz wahr. Solche Ideen gabs schon 1848 in Frankreich oder bei Kurt von Schleicher. In jüngster Zeit als ABM oder 1-Euro-Job betitelt.


    Ja, gut. Die meisten Sachen sind schon mal da gewesen. Im heutigen Zyklus geht es ja in der regierenden Politik auch eher um Arbeitsbeschaffung als um Arbeitsschaffungsermöglichung.


    Zitat

    Toller Satz bei Wikipedia dazu:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Arbeitsmarkt


    Das ist zwar ironisch, aber inzwischen ja wirklich ein Argument (innerhalb des Systems). Für die Statistik (und vielleicht auch teilweise für den Arbeitnehmer) sind die Stellen im staatlichen Ersatzbereich durchaus besser als Arbeitslosigkeit oder wechselnde Aushilfsjobs, Zeitarbeit oder andere normalwirtschaftliche Möglichkeiten.

  • Anfang März hat der Spiegelfechter was zum staatlichen Lohndumping geschrieben. Wenn schon der Staat selber die Leute zum Sozialamt schickt, damit sie halbwegs normal leben können, läuft in der Politik ganz gewaltig etwas falsch.


    Und zwar dieses:



    Es sind nicht die ungelernten oder geringqualifizierten, sondern Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung oder gar akademischen Abschluss, die im Niedriglohnsektor arbeiten. Die Hartz-Gesetzgebung hat maßgeblich zum Ausbau des Niedriglohnsektors beigetragen und schmälert heute die Staatseinnahmen und die Einnahmen der Sozialversicherungen. Ein Teufelskreis, dessen Durchbrechung nur höhere Löhne sein können - und nicht etwa jahrelange Reallohnsenkungen oder, ganz frisch, sogar [URL=http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2010/03/PD10__074__812,templateId=renderPrint.psml]Bruttolohnsenkungen[/URL].

  • Naja. Zunächst mal müssen die in dieser Statistik ausgewiesenen Zahlen in Relation zur Verteilung der verschiedenen Ausbildungsstände der Gesamtbevölkerung gesetzt werden. Google liefert mir trotz verschiedenster Formulierungen der Suchbegriffe leider nichts brauchbares, aber überlegen wir doch mal so: wir nehmen die Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren und ziehen Schüler, Studenten, Auszubildende (einschließlich Referendare, Volontäre, Praktikanten usw.), Ruheständler und freiwillig nicht Erwerbestätige ab. Haben von den verbliebenen eigentlich Erwerbstätigen wirklich 26,4% - also rund jeder Vierte - keine Berufsausbildung? Und sind wirklich nur 6,1% - also knapp mehr als jeder Zwanzigste - Akademiker? Ich denke, das zerschießt diese vermeintlich furchteinflößende Statistik doch sehr schnell.


    Und weiter bedeutet eine Berufsausbildung noch längst keine exklusive Qualifikation. Mein Lieblingsbeispiel ist der Beruf des Verkäufers mit seinen diversen Spezialisierungen (vor allem Bäckerei- und Fleischereifachverkäufer =)). Ein durchschnittlicher intelligenter Mensch sollte die Aufgaben eines Verkäufers nach einer Einweisung im zeitlichen Umfang etwa eines Arbeitstages selbstständig ausüben können und auch entsprechend entlohnt werden. Aber lieber ordnen die Handwerks- und Handelskammern eine allen Ernstes dreijährige Berufsausbildung an mit dem Effekt, dass die Auszubildenden quasi 2 364/365 Jahre als in vollem Umfang produktive aber unterhalb des materiellen Existenzminimums entlohnte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Nach Erhalt ihres Zeugnisses als ausgebildete (Fach-)Verkäufer werden sie dann nicht übernommen, sondern durch neue Auszubildende als preiswerte Arbeitskräfte ersetzt. Schwupps hat man "qualifizierte" Arbeitslose, denen "unqualifizierte" billigere Arbeitskräfte gegenüberstehen. Zur Krönung wirbt der entsprechende Betrieb mit einem Sticker an der Tür seines Ladenlokals für seine soziale Einstellung, weil er ja ausbildet. Schuld an den vielen arbeitslosen "Fachverkäufern" ist dann natürlich der irrtümlich als Neoliberalimus gebranntmarkte Laissez-faire-Kapitalismus, und nicht die Komplizenschaft von Staat, Gewerkschaften und Berufskammern.


    Schließlich noch die Forderung nach höheren Löhnen - wer soll die bezahlen? Der Lohn kann nun mal nicht über der Produktivität eines Arbeitgebers liegen. Das Problem sind trotz der jüngsten und erstmaligen Senkung nicht die Bruttolöhne, sondern die Nettolöhne und das Preisniveau. Was die Arbeit eines Berufstätigen wirklich wert ist, drückt sein Bruttolohn zuzüglich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung sowie evtl. Vergünstigungen wie vermögenswirksamer Leistungen aus. Und das sind selbst für Beschäftigte mit einfachen manuellen Tätigkeiten durchaus ansehnliche Beträge! Dass davon vielfach gerade noch zum Sterben zuviel, aber zum Leben deutlich zu wenig bei ihnen ankommt, ist nicht die Schuld der Arbeitgeber. Der durchschnittliche Arbeitnehmer in Deutschland subventioniert mit 53 Cent von jedem Euro seines Bruttolohns den Staat und seine Sozialsysteme. Berücksichtigt man dann noch, dass die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung ja keine Geschenke oder Spenden sind, sondern dem Wert der erbrachten Arbeitsleistung zuzurechnen sind, steigt die Quote noch weiter und bewegt sich auf die 60 Cent je Euro zu. Diesen Irrsinn zu finanzieren drückt nach natürlich die Löhne nach unten und treibt die Preise nach oben.


    Der einzige Weg zur Senkung der Arbeitslosigkeit und Erhöhung der Reallöhne: Steuern senken und den Wohlfahrtsstaat abschaffen.

  • Zitat

    Original von Melissa Adelaide
    Naja. Zunächst mal müssen die in dieser Statistik ausgewiesenen Zahlen in Relation zur Verteilung der verschiedenen Ausbildungsstände der Gesamtbevölkerung gesetzt werden. Google liefert mir trotz verschiedenster Formulierungen der Suchbegriffe leider nichts brauchbares, aber überlegen wir doch mal so: wir nehmen die Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren und ziehen Schüler, Studenten, Auszubildende (einschließlich Referendare, Volontäre, Praktikanten usw.), Ruheständler und freiwillig nicht Erwerbestätige ab. Haben von den verbliebenen eigentlich Erwerbstätigen wirklich 26,4% - also rund jeder Vierte - keine Berufsausbildung? Und sind wirklich nur 6,1% - also knapp mehr als jeder Zwanzigste - Akademiker? Ich denke, das zerschießt diese vermeintlich furchteinflößende Statistik doch sehr schnell.


    Der Logik kann ich nicht ganz folgen. Palins Aussage war ja gerade, dass Ausgebildete überproportional im Niedriglohnsektor tätig sind. Bei Zahlen hilft entweder der ALLBUS oder der Mikrozensus des Bundesamtes für Statistik.


    Letzterer besagt: 2008 waren von 38.734 Befragten 21.217 Ausgebildete. Dazu kommen 2.812 Meister/Techniker. Zusammen sind das 62%. Diese Gruppe ist also überproportional im Niedriglohnsektor vertreten. 6.841 Befragte waren ohne berufsqualifizierenden Abschluss. Das sind 17,7%. Diese Gruppe ist also ebenfalls überproportional vertreten. Dass die Akademiker unterproportional vertreten sind, muss wohl nicht gesondert verifiziert werden.


    Zitat

    Schließlich noch die Forderung nach höheren Löhnen - wer soll die bezahlen? Der Lohn kann nun mal nicht über der Produktivität eines Arbeitgebers liegen.


    Zum einen ist das durchaus möglich. Witzigerweise ist auch gar nicht so einfach zu definieren, wie produktiv ein Angestellter nun wirklich ist. Ohne die Fließbandarbeiter wäre die Dosenfabrik bei einer Produktivität von 0. Tragen die Fließbandarbeiter also 100% zur Produktivität bei? Sind die Buchhalter und Techniker überflüssig? Die Menschen sind alle zusammen produktiv und erarbeiten arbeitsteilig etwas. Wie das materiell entlohnt wird, ist relativ beliebig und hat 1) mit der Segmentierung des Arbeitsmarktes und 2) mit Angebot und Nachfrage zu tun.


    Zitat

    Das Problem sind trotz der jüngsten und erstmaligen Senkung nicht die Bruttolöhne, sondern die Nettolöhne und das Preisniveau.


    Die Bruttolöhne sind in nomineller Währung erstmals gesunken. Das liegt an der großflächigen Kurzarbeit. Die Reallöhne sinken seit Hartz 4 ständig mit kleiner Unterbrechung.


    Zitat

    Und das sind selbst für Beschäftigte mit einfachen manuellen Tätigkeiten durchaus ansehnliche Beträge! Dass davon vielfach gerade noch zum Sterben zuviel, aber zum Leben deutlich zu wenig bei ihnen ankommt, ist nicht die Schuld der Arbeitgeber. Der durchschnittliche Arbeitnehmer in Deutschland subventioniert mit 53 Cent von jedem Euro seines Bruttolohns den Staat und seine Sozialsysteme.


    Das ist grob irreführend. Der Staat wird nicht "subventioniert", er gibt das, was er einfordert, in Leistungen wieder zurück. Und davon profitieren Geringverdiener mehr als Besserverdienende.


    Nun ja und dass 1-Euro-Jobs sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze vernichten, ist ja keine bloße Behauptung sondern verifiziert.

    Bernardo G. Macaluso Spdu_logo_kleiner.jpg
    Unionskanzler a. D.

    Primo Ministro di Herót a. D.


  • Und meine Aussage ist, dass eine Berufsausbildung nicht zwingend etwas über die Qualität geleisteter Arbeit aussagt bzw. über den Qualitätsunterschied zur Arbeitsleistung eines Ungelernten. Insbesondere im Handel, aber auch im Handwerk, halte ich viele Berufsausbildungen für bürokratischen Mummpitz. Ein Bäckereifachverkäufer etwa ist durch nichts gegenüber einem durchschnittlich intelligenten und maximal einsatzbereiten Menschen für den Verkauf von Backwaren qualifiziert. Ein arbeitsloser Bäckereifachverkäufer steht für mich entsprechend auf einer anderen Stufe als ein nichtstudierter Spezialist für eine anspruchsvollere Tätigkeit. Indem Staat, Gewerkschaften und berufsständische Organisationen gemeinsam fast alles das ein Mensch gegen Entlohnung tun kann zu eine gesetzlich geregelte und förmlich zertifizierte Ausbildung erfordernden Berufen gemacht haben, haben sie natürlich eine Masse an "qualifizierten" Arbeitslosen produziert. Und verschlimmern deren Lage noch durch Flächentarife, die die Arbeit formal "qualifizierter" gegenüber der materiell gleichqualifizierter Arbeitskräfte ohne förmliches Ausbildungszeugnis unnötig verteuern.


    Weiter hast du natürlich Recht mit deiner Beschreibung, dass der Umsatz eines Unternehmens von allen Beschäftigten gemeinsam erwirtschaftet wird und dazu jeder nach seinen Möglichkeiten beiträgt. Aber zunächst ist der gemeinsam erwirtschaftete Umsatz das Maximum dessen, was überhaupt verteilt werden kann. Und dann darf man ja den Einsatz und die Interessen des Kapitalgebers nicht unterschätzen oder ausblenden. Er ist derjenige, der die Rohstoffe und Produktionsmittel besitzt bzw. anschafft, also in die Produktion investiert. Dafür muss er einen ausreichenden Anreiz haben. Warum soll er vorhandenes Vermögen oder gar geliehenes Kapital einsetzen, wenn es für ihn nicht wesentlich unrentabler wäre, einfach auch seine Arbeitskraft zu verkaufen? Der gemeinsam erwirtschaftete Umsatz abzüglich Betriebskosten und Steuern ist der Gewinn. Von dem muss der Kapitalgeber seinen Anteil erhalten, der ihn überhaupt zu seiner Unternehmung motiviert. Was dann noch übrig bleibt, kann auf die Arbeitnehmer entsprechend ihrer Leistung verteilt werden - nicht mehr und nicht weniger.


    Und dass der Staat alles in Form von ihm erbrachter zurückgibt was die Steuerpflichtigen in ihn einzahlen stimmt ja nun nicht. Ich rechne dem Begriff des Staates die von ihm errichtete und mit Zwangsmitgliedern gefüllte gesetzliche Sozialversicherung zu, und verweise auf Palin Waylan-Majeres richtigen Hinweis: viele Menschen haben nach Abzug der von ihnen geschuldeten Abgaben von ihrem Bruttolohn so wenig übrig, dass sie Anspruch auf staatliche Transferleistungen haben. Im Klartext: erst entzieht der Staat Menschen Geld, um es ihnen dann zu erstatten. Auch dieser Vorgang erzeugt Arbeit, die bezahlt werden muss. Nur hat von dieser Arbeit niemand etwas. Hier wird Geld vernichtet nutzlose Arbeit subventioniert.


    Wenn der Staat sich darauf beschränkte, für Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu sorgen und sich endlich vom Arbeitsmarkt sowie den Kühlschränken, Schlafzimmern und sonstigen Privatsphären der Bürgern fernhielte, könnte die Differenz zwischen Brutto- und Nettolöhnen freihändig geschätzt auf unter 10% gesenkt werden.

  • Zitat

    Original von Melissa Adelaide
    Und meine Aussage ist, dass eine Berufsausbildung nicht zwingend etwas über die Qualität geleisteter Arbeit aussagt bzw. über den Qualitätsunterschied zur Arbeitsleistung eines Ungelernten. Insbesondere im Handel, aber auch im Handwerk, halte ich viele Berufsausbildungen für bürokratischen Mummpitz. Ein Bäckereifachverkäufer etwa ist durch nichts gegenüber einem durchschnittlich intelligenten und maximal einsatzbereiten Menschen für den Verkauf von Backwaren qualifiziert. Ein arbeitsloser Bäckereifachverkäufer steht für mich entsprechend auf einer anderen Stufe als ein nichtstudierter Spezialist für eine anspruchsvollere Tätigkeit. Indem Staat, Gewerkschaften und berufsständische Organisationen gemeinsam fast alles das ein Mensch gegen Entlohnung tun kann zu eine gesetzlich geregelte und förmlich zertifizierte Ausbildung erfordernden Berufen gemacht haben, haben sie natürlich eine Masse an "qualifizierten" Arbeitslosen produziert. Und verschlimmern deren Lage noch durch Flächentarife, die die Arbeit formal "qualifizierter" gegenüber der materiell gleichqualifizierter Arbeitskräfte ohne förmliches Ausbildungszeugnis unnötig verteuern.


    Die deutsche Facharbeiterausbildung ist international beispiellos und insbesondere Stütze des starken deutschen Außenhandels. Darüber hinaus sehe ich nicht ganz, was Du damit sagen willst. Alles wäre besser, wenn Facharbeiter wie ungelernte Hilfsarbeiter bezahlt würden?


    Zitat

    Weiter hast du natürlich Recht mit deiner Beschreibung, dass der Umsatz eines Unternehmens von allen Beschäftigten gemeinsam erwirtschaftet wird und dazu jeder nach seinen Möglichkeiten beiträgt. Aber zunächst ist der gemeinsam erwirtschaftete Umsatz das Maximum dessen, was überhaupt verteilt werden kann. Und dann darf man ja den Einsatz und die Interessen des Kapitalgebers nicht unterschätzen oder ausblenden. Er ist derjenige, der die Rohstoffe und Produktionsmittel besitzt bzw. anschafft, also in die Produktion investiert. Dafür muss er einen ausreichenden Anreiz haben. Warum soll er vorhandenes Vermögen oder gar geliehenes Kapital einsetzen, wenn es für ihn nicht wesentlich unrentabler wäre, einfach auch seine Arbeitskraft zu verkaufen? Der gemeinsam erwirtschaftete Umsatz abzüglich Betriebskosten und Steuern ist der Gewinn. Von dem muss der Kapitalgeber seinen Anteil erhalten, der ihn überhaupt zu seiner Unternehmung motiviert. Was dann noch übrig bleibt, kann auf die Arbeitnehmer entsprechend ihrer Leistung verteilt werden - nicht mehr und nicht weniger.


    Man könnte dem "Kapitalgeber" sein Kapital auch einfach abnehmen. Daran soll es nicht scheitern. Er hat es einzig und allein deshalb, weil der Laden schon seit vielen hundert Jahren schon so läuft, wie er läuft. Sorry für diese Polemik aber ich reagiere sehr unwirsch auf Rhetorik a la "Wir müssen die Gehälter der Arbeiter kürzen, damit die Unternehmer wieder mehr Anreize zur Investition haben". Diese Maxime ist eine self-fulfilling prophecy. Weiter sehe ich auch keine wirkliche Verbindung zur bisherigen Diskussion.


    Zitat

    Und dass der Staat alles in Form von ihm erbrachter zurückgibt was die Steuerpflichtigen in ihn einzahlen stimmt ja nun nicht. Ich rechne dem Begriff des Staates die von ihm errichtete und mit Zwangsmitgliedern gefüllte gesetzliche Sozialversicherung zu, und verweise auf Palin Waylan-Majeres richtigen Hinweis: viele Menschen haben nach Abzug der von ihnen geschuldeten Abgaben von ihrem Bruttolohn so wenig übrig, dass sie Anspruch auf staatliche Transferleistungen haben. Im Klartext: erst entzieht der Staat Menschen Geld, um es ihnen dann zu erstatten. Auch dieser Vorgang erzeugt Arbeit, die bezahlt werden muss. Nur hat von dieser Arbeit niemand etwas. Hier wird Geld vernichtet nutzlose Arbeit subventioniert


    Nun gut, unser Sozialstaat ist ein bürokratisches Monstrum, seit Hartz IV im Übrigen weit mehr als vorher. Das kann man entschlacken, weniger Drangsalierung von Arbeitslosen, keine Maßnahmen mehr, bei denen man konrolliert, dass auch ja alle 100 Arbeitslosen sich auf die eine freie Stelle bewerben, dann hat man schon einen guten Teil der Bürokratie überflüssig gemacht.


    Zitat

    Wenn der Staat sich darauf beschränkte, für Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu sorgen und sich endlich vom Arbeitsmarkt sowie den Kühlschränken, Schlafzimmern und sonstigen Privatsphären der Bürgern fernhielte, könnte die Differenz zwischen Brutto- und Nettolöhnen freihändig geschätzt auf unter 10% gesenkt werden.


    Das ist eine triviale Feststellung. Die Frage ist, was das zur Folge hätte. Die Geringverdiener würden nämlich nur sehr gering davon profitieren. Bahnbrechend wäre das nur für die oberen 10.000.


  • Ich sage ja nichts gegen eine gründliche Qualifikation in anspuchs- und verantwortungsvollen Berufen. Da du den deutschen Export ansprichst etwa in der Fertigung von High-Tech-Produkten. Für unsinnig und überflüssig empfinde ich die bestehenden Ausbildungen in nahezu allen Dienstleistungs- und vielen Handwerksberufen. Deren einziger Effekt ist tatsächlich nur, dass der Auszubildende nach kurzer Einarbeitung bereits normale Produktivität erreicht aber unangemessen schlecht bezahlt wird. Nach Erwerb seines Facharbeiterbriefes wird er dann nicht übernommen, weil man ihn nun ja tariflich entlohnen müsste. Lieber stellt man einen neuen Auszubildenden ein, der nach kurzer Einarbeitung wiederum voll produktiv ist aber mit dem Segen von Staat und Gewerkschaft unter dem Existenzminimum entlohnt werden kann. Ich bin schlicht für eine Entlohnung nach Produktivität, nicht nach irgendwelchen Zeugnissen oder Urkunden. Wer will kann sich meinetwegen von irgendwem irgendwelche Fähigkeiten bescheinigen lassen, leistet er schlechtere Arbeit als jemand ohne diese Bescheinungen, ist es trotzdem gerecht wenn er weniger Geld verdient als dieser.


    Dein Ruf nach einer Enteignung der Kapitalgeber ist weniger polemisch als klischeebehaftet. Zunächst einmal sind viele Kapitalgeber nicht Erben, sondern Kreditnehmer. Menschen, die eine Idee haben mit welcher Ware oder Dienstleistung sie Geld verdienen können und dafür das Risiko auf sich nehmen, sich das notwendige Startkapital zu leihen. Scheitert die Unternehmung, verlieren seine Arbeitnehmer nur ihren Arbeitsplatz, werden aber vom Wohlfahrtsstaat komfortabel aufgefangen und können sich einfach neue Anstellungen suchen. Der Unternehmer selbst hingegen ist persönlich ruiniert.


    Wenn mir eine Gegenpolemik erlaubt ist: es könnten auch einfach alle Kapitalgeber die Brocken hinwerfen, in die Gewerkschaft eintreten und für Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung streiken. Wo wäre das Land dann?


    Die Hartz-Reformen halte ich sämtlich für unbrauchbar. Es sind nur Schönheitskorrekturen an einem längst kollabierenden System. Eine Gesellschaft kann nicht auf der Basis funktionieren, dass eine Minderheit arbeitet um einer Mehrheit deren Lebensunterhalt zu finanzieren.


    Und eine drastische Senkung der Steuer- und Abgabenquote würde vielleicht den 10.000 wohlhabendsten Bürgern eine Mehrung ihres Überflusses bringen. Dafür aber Millionen anderen endlich eine eigene wirtschaftliche Existenz. Jeder Mensch hat das Recht, von seiner Arbeit leben zu können. Niemand hat das Recht, von anderen ausgehalten zu werden.

  • Zitat

    Original von Melissa Adelaide


    Ich sage ja nichts gegen eine gründliche Qualifikation in anspuchs- und verantwortungsvollen Berufen. Da du den deutschen Export ansprichst etwa in der Fertigung von High-Tech-Produkten. Für unsinnig und überflüssig empfinde ich die bestehenden Ausbildungen in nahezu allen Dienstleistungs- und vielen Handwerksberufen. Deren einziger Effekt ist tatsächlich nur, dass der Auszubildende nach kurzer Einarbeitung bereits normale Produktivität erreicht aber unangemessen schlecht bezahlt wird. Nach Erwerb seines Facharbeiterbriefes wird er dann nicht übernommen, weil man ihn nun ja tariflich entlohnen müsste. Lieber stellt man einen neuen Auszubildenden ein, der nach kurzer Einarbeitung wiederum voll produktiv ist aber mit dem Segen von Staat und Gewerkschaft unter dem Existenzminimum entlohnt werden kann. Ich bin schlicht für eine Entlohnung nach Produktivität, nicht nach irgendwelchen Zeugnissen oder Urkunden. Wer will kann sich meinetwegen von irgendwem irgendwelche Fähigkeiten bescheinigen lassen, leistet er schlechtere Arbeit als jemand ohne diese Bescheinungen, ist es trotzdem gerecht wenn er weniger Geld verdient als dieser.


    Das ist ja durchaus ein interessanter Punkt aber diese Segmentierung ist nicht zu vermeiden. Sie ist jedem Markt in irgendeiner Weise eigen, weil sie ein Mittel zur Komplexitätsreduktion ist. Kein Marktteilnehmer kommt ohne Marktsegmentierung zurecht und in einem solchen sozialen System geschieht sie "von alleine". Zum konkreten Problem: Bezahlung nach Produktivität ist ja eine urmarxistische und sehr antikapitalistische Forderung, insofern hast Du mich auf Deiner Seite ;) Wenn wir über Personen reden, die tatsächlich eindeutig über ihrer Produktivität entlohnt werden, müssen wir eher in die Vorstandsetagen der Finanzwirtschaft schauen. Im Bereich handwerklicher und Facharbeiter-Tätigkeiten ist das Problem eher, dass immer mehr Menschen zu niedrig entlohnt werden, was eben von der Politik mit dem "Aufstocken" oder der Förderung von Zeitarbeit gezielt gefördert wird. Es ist absurd, davon auszugehen, dass ein Arbeiter in der deutschen Industrie in den 70er Jahren ein ein kleinbürgerliches Familiengehalt erarbeitet hat und das heute nicht mehr der Fall sein sollte. Durch den technischen Fortschritt hat sich die Produktivität pro Arbeiter enorm erhöht. Würde jeder Arbeiter nach Produktivität bezahlt, hätten wir überhaupt kein Problem. Das Problem besteht tatsächlich darin, dass der Arbeitsmarkt eine veränderte Segmentierung aufweist, da unter tatkräftiger Mitwirkung der deutschen Sozialdemokratie ein großer Niedriglohnsektor entstanden ist, in dem Menschen Tätigkeiten zu weit niedrigeren Stundenlöhnen verrichten als in vergangenen Jahrzehnten. Das kommt den Arbeitgebern bezüglich ihres Geldbeutels natürlich entgegen und die Unternehmer, die zu fairen Löhnen arbeiten lassen, sind nicht mehr wettbewerbsfähig.


    Zitat

    Dein Ruf nach einer Enteignung der Kapitalgeber ist weniger polemisch als klischeebehaftet. Zunächst einmal sind viele Kapitalgeber nicht Erben, sondern Kreditnehmer. Menschen, die eine Idee haben mit welcher Ware oder Dienstleistung sie Geld verdienen können und dafür das Risiko auf sich nehmen, sich das notwendige Startkapital zu leihen. Scheitert die Unternehmung, verlieren seine Arbeitnehmer nur ihren Arbeitsplatz, werden aber vom Wohlfahrtsstaat komfortabel aufgefangen und können sich einfach neue Anstellungen suchen. Der Unternehmer selbst hingegen ist persönlich ruiniert.


    Nun ja, die deutliche Mehrheit der deutschen Arbeitgeber nehmen sicher keine Mikrokredite in Anspruch. Wir reden natürlich von sehr unterschiedlicehn Biographien aber die extreme Trennung zwischen Arbeit und Kapital ist eben historisch dadurch bedingt, dass das System diesen Zustand manifestiert.


    Zitat

    Wenn mir eine Gegenpolemik erlaubt ist: es könnten auch einfach alle Kapitalgeber die Brocken hinwerfen, in die Gewerkschaft eintreten und für Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung streiken. Wo wäre das Land dann?


    Dass ein Unternehmer nach der Vermehrung seines Kapitals strebt, ist an sich kein respektabler Verdienst für die Gesellschaft. Würde er seine Unternehmung samt seines Kapitals in so etwas wie eine Genossenschaft umwandeln und dieser etwa als Berater oder Manager dienen (oder gerne auch in der Fabrikhalle die Ärmel hochkrempeln), würde das unserem Land sicher nicht ganz schlecht tun.


    Zitat

    Die Hartz-Reformen halte ich sämtlich für unbrauchbar. Es sind nur Schönheitskorrekturen an einem längst kollabierenden System. Eine Gesellschaft kann nicht auf der Basis funktionieren, dass eine Minderheit arbeitet um einer Mehrheit deren Lebensunterhalt zu finanzieren.


    Die Leute, deren Lebensunterhalt von der arbeitenden Bevölkerung finanziert wird, findet man eher auf den Spenderlisten der FDP und das ist eine kleine Minderheit ;)


    Zitat

    Und eine drastische Senkung der Steuer- und Abgabenquote würde vielleicht den 10.000 wohlhabendsten Bürgern eine Mehrung ihres Überflusses bringen. Dafür aber Millionen anderen endlich eine eigene wirtschaftliche Existenz.


    Die Rechnung möchte ich mal sehen. Zuallererst muss man doch berücksichtigen, dass die Arbeitslosenversicherung nicht nur eine Obsession von grauhaarigen DGB-Funktionären ist sondern gegen ein Risiko absichert, das fast ausschließlich Arbeitnehmer tragen. Der "Kapitalist" benötigt keine Arbeitslosenversicherung, für Millionen von Arbeitnehmern ist sich unverzichtbar. Wir reden hier von keiner Senkung der Steuer- und Abgabenquote, die man einfach mal so testweise vollziehen könnte. Da hängen Grundbedürfnisse der Bevölkerung dran.


    Zitat

    Jeder Mensch hat das Recht, von seiner Arbeit leben zu können. Niemand hat das Recht, von anderen ausgehalten zu werden.


    Da möchte ich widersprechen. Eine zentrale kulturelle Errungenschaft ist doch, dass jemand, der sich nicht selbst versorgen kann, damit rechnen kann, von den anderen ausgehalten zu werden. In archaischen Gesellschaften von der Familie, in der modernen Gesellschaft von der Solidargemeinschaft. Der sozialdemokratisch geprägte Staat hatte die Besonderheit, dass auch das Kapital an dieser Leistung beteiligt wurde. In den letzten zehn Jahren geht der Trend aber wieder in eine Richtung, die beschönigend "Eigenverantwortung" genannt wird.

  • Das läuft doch in der Regel in Phasen ab. Eine Zeit lang hält sich der Staat großteils aus der Realwirtschaft heraus. Die Wirtschaft brummt, es gibt Arbeit, mal mehr und mal weniger gut bezahlt.
    Dann erhöhen sich Lebensstandard und (zunächst paradox erscheinender weise) damit auch die Ansprüche an den Sozialstaat und wohlfahrtsstaatliche Verteilungen.
    Das Wirtschaftsleben wird korporatistischer, Gewerkschafts- und Konzernkartelle bilden sich heraus. Die Verteilungskämpfe werden dann mehr und mehr auf politischem Weg ausgetragen und nicht mehr über den Wettbewerb. Verhandlungen, gegenseitige Abkommen, Interessenspolitik und politische Zuteilungen bestimmen die Art und Weise staatlicher Interventionen in die wirtschaftlichen Abläufe.
    Die Wirtschaft zehrt mehr und mehr vom Erfolg vergangener Tage. Entweder gelingen Reformen oder halt nicht. Dafür gibt es erfahrungsgemäß gewisse Zeitfenster, zu denen aber auch die Rahmenbedingungen und die Akteure stimmen müssen.
    Um so länger Änderungen aufgeschoben werden, umso deutlicher werden die Veränderungen die auf die einer oder andere Art zwangsläufig kommen.


    Was lernen wir daraus? Nicht viel, das Prinzip gibt es wohl schon seit es Gesellschaften gibt.


    Leb Dein Leben so, wie Gott, Staat und Du es wollen. Und die CDU wirds schon richten. Die sind immer MitteNdrin, Staat nur dabei.

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